Einleitungstext

Die sozial-ökologische Ressource Wasser

 

Neu eingereichtes Thema

 

Autoren: Martina Winker, Engelbert Schramm, Jens Libbe, Jörg Oehlmann, Wilhelm Urban, Jan Trapp

1. Sozial-ökologische Problemlagen

Wasser ist eine der zentralen Ressourcen für irdisches Leben, z.B. sind Frischwasserressourcen eine Grenze der Plentary Boundaries und das Menschenrecht auf Wasser- und Sanitärversor-gung wird im SDG 6 gesetzt. Gleichzeitig ist Wasser ein zentrales sozial-ökologisches Versor-gungssystem mit der infrastrukturellen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in Städten. Wasser ist der größte globale Stoffstrom. Der Zugang zu Wasser sowie die Art und Weise der Bereitstellung von Wasser beeinflusst zudem das Konsumverhalten indirekt und direkt – man denke nur an die diversen Mineralwassermarken und was für ein Image mit ihnen verknüpft wird, aber auch an den Wasserfußabdruck, der etwa in Deutschland doppelt so hoch wie in China ist und zudem die weltweiten Abhängigkeitsbeziehungen aufzeigt. Gleichzeitig ist Wasser ein Treiber und Indikator für Transformationsprozesse, insbesondere infolge des Klimawandels (vermehrte Extremwetterlagen, Wassermangel als Ursache für Kriege und Flucht). Diese Veränderungen finden zunehmend mediale Beachtung, wie z.B. in der weltweiten Berichterstattung über den „Day Zero“ angesichts der Wasserknappheit in Kapstadt oder zu den trockenen Som-mern in Skandinavien und der daraus resultierenden Waldbrangefahr.

2. Darstellung des Wissensstandes und der Forschungslücken

In den vergangenen Jahren gab es wichtige forschungspolitische Initiativen für einen nachhaltigen Umgang mit Wasser, nicht zuletzt durch das BMBF. Zugleich ist zu konstatieren, dass in Anbetracht aktueller Entwicklungen erhebliche Defizite in der sozial-ökologischen Regulation unseres Umgangs mit Wasser bestehen. Insbesondere die folgenden sozial-ökologischen Problemlagen sind zu nennen:

  • Das großflächige aktuelle und bereits für die Zukunft prognostizierte Nicht-Erreichen eines guten ökologischen Gewässerzustands gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) und die gleichzeitig erfolgende Aufrüstung in der Abwasserreinigung.
  • Die steigenden Nitratkonzentrationen im Grundwasser und deren Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung (sowie der Verurteilung Deutschlands durch den EUGH).
  • Der Umgang mit steigenden, regional geprägter Wasserknappheit in Deutschland, die häufig ein Zusammenspiel aus klimatischen Veränderungen (z.B. längere Trockenperioden im Sommer), Auswirkungen von bisherigen Wasserpraktiken (etwa Grundwasserförderung, die zu Salzintrusion in Küstennähe führt) und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen (Zuzug in die Ballungsräume) sind. Im Sinne eines Gegenpaars ist hier äquivalent der Umgang mit Starkregen zu nennen.
  • Die unzureichende Berücksichtigung des Umgangs mit Wasser im Rahmen der Stadtent-wicklung bzw. die fehlende Verbindung von baulichräumlicher Entwicklung, Architektur, städtischem Grün und Lebensqualität in Städten. Insbesondere in wachsenden Städten/Metropolregionen gewinnt dieser Aspekt immer größere Bedeutung und es Bedarf geeigneter Strategien einer wassersensiblen Entwicklung von Städten und Regionen.
  • Die offenen Fragen zur Gestaltung von Entwicklungszusammenarbeit im Umgang mit Wasserressourcen, wie etwa die polarisierende Debatten zu großen überregionalen Infrastruktur-projekten wie Staudämmen oder Fernleitungen, die häufig über den volkswirtschafltichen Nutzen begründet werden. Aber auch die weiterhin ausstehende Sicherung der  Wasser- und Sanitärversorgung in vielen Regionen der Erde.
  • Die Veränderungsprozesse für Unternehmen des Wassersektors durch die Digitalisierung und damit verbundene Fragen zur Organisation, Vernetzung und Sicherheit von Daten, In-formationen und Prozessen sowie zu Möglichkeiten für die Verbesserung von Aufgabenerfüllung und Ressourcennutzung.
  • Der Diskurs zu Wasserwiedernutzung (water reuse) und die daraus aktuell diskutierten und extrem unterschiedlich bewerteten europäischen Mindestanforderungen zur Wasserwiederverwendung im Gemeinschaftsrecht.
  • Wasser als „Lifestyle“: an der Flasche sieht man, wer ich bin. Die dahinterliegende Kommerzialisierung von Wasser und Globalisierung von Quellen.

3. Beschreibung möglicher Forschungsfragen

Eine sozial-ökologische Wasserforschung sollte daher folgenden Fragestellungen nachgehen bzw. in Synergie mit anderen Themenschwerpunkten darauf Antworten finden:

  • Der Schutz der Wasserressourcen beruht direkt auf der Gestaltung der Landwirtschaft. Die etablierten Instrumente zur Kooperation zwischen Wasser und Landwirtschaft geraten durch die Globalisierung und Bioökonomisierung unter Druck. Wie lässt sich eine nachhaltige Landwirtschaft gestalten, die einerseits die Ressourcennutzung begrenzt, die Wasserressourcen schützt und gleichzeitig nicht auf dem Rücken der Landwirte und Landbevölkerung ausgetragen wird? Wie können Konsumenten und städtische Ballungszentren helfen, positive Entwicklungen zu unterstützen (z.B. im Sinne des Wasserbrots in Franken)? Wie lässt sich ein gutes Miteinander in Kulturlandschaften gestalten? Wie werden Behörden dazu befähigt, Gewässer umfassend und integriert zu bewirtschaften? Wie können die Mög-lichkeit der Partizipation konstruktiv in ihren Flussgebietsprozessen eingesetzt werden und einen echten Dialog und Aushandlungsprozess zwischen den Akteuren zu gestalten?
  • Die gesellschaftlichen Bedarfe und Anforderungen an die Ressource Wasser wachsen stetig. Gleichzeit verändern sich die (gewünschten) Naturbeziehungen der Gesellschaft, wie etwa der Trend zu urbanem Gärtnern (urban gardening) zeigt. Wie läßt sich dies in Einklang bringen mit dem natürlich-ökologisch Möglichen und mit Fragen sozialer Gerechtigkeit? Die Lebensqualität für Menschen und auch die Biodiversität lassen sich durch mehr Blau und Grün in Städten steigern. Doch wie können grüne und blaue Infrastrukturen auch in längeren Trockenperioden ihre Funktionen erfüllen? Welche Rolle können hierbei water reuse-Komponenten spielen, die eine stete, berechenbare Wasserverfügbarkeit in der Stadt garantieren? Wie kann die Abhängigkeit einer wachsenden Metropolregion von den Wasserressourcen des Umlands, und damit dessen „Ausbeutung“, in einem sinnvollen Rahmen gehalten werden? Hierzu müssen bestehende Pfadabhängigkeiten analysiert und ausgewertet werden. Inwiefern könnte eine Neubewertung des materiellen und symbolischen Werts des Wassers dazu beitragen, die unterschiedlichen Bedarfe anders auszurichten und abzuwägen? Welche Organisations- und Managementformen wären dazu geeignet, und welche Akteurskooperationen? Welche Ausgleichsmechanismen zwischen verdichteten, städtischen und ländlichen Räumen könnten geeignet sein, Qualitäten von Daseinsvorsorge ggf. neu auszuhandel bzw. zu erweitern und unterschiedliche Gemeinwohlvorstellungen aufzugreifen?
  • Wasserinfrastrukturen stehen auch auf dem internationalen Prüfstand. Neue Player (wie etwa China) bringen ihre Wert- und Normvorstellungen (z.B. Idee der Wasserkreislauf-führung) stärker international ein, was gleichermaßen neue Impulse aber auch neue Hegemonien bedeuten kann. Auch werfen globale Trends wie z.B. die Nutzung Künstlicher Intelligenz in Ländern des Globalen Nordens sowie Urbanisierungsprozesse im Globalen Süden neue Fragen nach der Resilienz der Kritischen Infrastruktur Wasser sowie den sozial-ökologischen Risiken für das Versorgungssystem auf. Staudämme zur Stromerzeugung wer-den zunehmend von einzelnen Investoren ohne Beteiligung von EZ-Organisationen finanziert und ohne umfassende sozial-ökologische Folgenabschätzung durchgeführt. Folgen wie lokale Wasserknappheit und Veränderung der Ökosysteme liegen auf der Hand. Welche Arten von Wasserinfrastruktur sollten aus einer ganzheitlichen Sichtweise forciert werden? Welche sozial-ökologische Auswirkungen haben solche großen Investitionen im Wassersektor? Wie können internationale Änderungen z.B. in Normungsverfahren lokal so genutzt werden, dass sie zu einer langfristigen Steigerung der Nachhaltigkeit führen?
  • Migrationsbewegungen nehmen zu, Flüchtlingsströme innerhalb des Globalen Südens sowie nach Europa wachsen. Es wird immer deutlicher, dass die Realisierung einer Wasser-infrastruktur nach westlich geprägten Standards wie etwa der wassergespülten Toilette weder mit den natürlichen noch finanziellen Ressourcen vieler Länder vereinbar sind. Auch ist die Bereitstellung und Qualität der Wasser- und Sanitärversorgung stark vom legalen Zugang zu Land und Wohnraum geprägt. Wie können hier die Wasserinfrastruktur und das lokalen Ressourcenmanagement gestaltet werden (z.B. die Versorgungssicherheit steigern durch die Bereitstellung und Dezentralisierung von Wasserinfrastruktur in schnell urbanisierenden Räumen und den nachhaltiger Aufbau von örtlichen Kapazitäten)? Wie können Lösungen angeboten werden, die nicht nur zur Erfüllung der SDGs im numerischen Sinne beitragen, sondern lokale Zukunftsperspektiven durch ein Ausgewogenheit von ökologischen und sozialen Interessen generieren?
  • Die menschliche Nutzung prägt und verändert stofflich sichtbar unsere Wasserressourcen. Chemikalien werden kontinuierlich eingetragen, während eine umfassende stoffliche Bewertung über Einzelstoffe hinaus fehlt. Gleichzeitig durchläuft Wasser auch als Konsumgut neue Vermarktungs- und Verwertungsmechanismen. Zudem bestehen entlang von Wasser und seiner Verpackung gesellschaftliche Diskurse nach dem gesundheitlichen Wert und seiner Unbedenklichkeit (z.B. Mineraliengehalt von Flaschen vs. Leitungswasser; Sorge vor chemischen Rückstände oder Mikroplastik im Flaschenwasser), aber auch zur aktuellen Kommerzialisierung von Wasser und Stilisierung von gewissen Markenwassern. Wasser einzelner Quellen wird bereits weltweit verkauft, man kann hier von einer Globalisierung eines eigentlich lokalen Versorgungssystems sprechen. Was bedeutet dies für die Versorgungssysteme? Wie sind entstehende lokale Gegenbewegungen einzuordnen? Wie können ganzheitliche Risikobewertungssysteme entwickelt und etabliert werden? Wie lassen sich Regulierungen (z.B. hinsichtlich von Wasserentnahmen) auch in anderen Ländern in eine solche Form bringen (z.B. zeitlich oder entsprechend ökologischer Wirkungen begrenzen), dass eine nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung möglich bleibt?

Einige der aufgeworfenen Fragen weisen weit über Deutschland und Europa hinaus. Hier bietet sich die Chance, über das Thema der Regulation der Ressource Wasser die transdisziplinäre sozial-ökologische Forschung international stärker einzutragen und umgekehrt auch internationale Impulse aufzunehmen. Angeregt wird, auch zu internationalen Kooperationen von Städten oder Infrastrukturbetreibern im Rahmen der Forschungsförderung aufzufordern.

 

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