Materielle Lebensqualität und seelische Lebensintensität
Neu eingereichtes Thema
Autor: Maik Hosang
1. Sozial-ökologische Problemlagen
Moderne Wirtschaft und Gesellschaft entstanden u.a. als Antwort auf den in früheren Epochen herrschenden Mangel an elementaren Lebensgütern, der nur relativ kleinen Eliten ein Leben im materiellen Überfluss ermöglichte. Durch wissenschaftlich-technische und sozial-ökonomische Innovationen gelang es im Laufe des 20. Jahrhunderts immer mehr Nationen, nicht nur ausreichende, sondern mehr oder weniger luxuriöse materielle Güter für quasi alle Einwohner dauerhaft verfügbar zu machen. Diese in vieler Hinsicht positiv zu sehende technische Effizienz und materielle Sicherheit moderner Wirtschaften und Gesellschaften inkludiert jedoch systemische materielle Wachstumstreiber, welche aus nachhaltiger Perspektive immer problematischer werden (Details zum in westlichen Wirtschaften und Gesellschaften inzwischen viel zu hohen "ökologischen Fußabdruck" werden hier nicht ausgeführt, da als bekannt vorausgesetzt).
Nachhaltige Transformationen moderner Wirtschaften und Gesellschaften werden daher nur unter drei Prämissen möglich:
- wenn es gelingt, die systemischen materiellen Wachstumstreiber interdisziplinär zu erforschen und zu verstehen; und davon ausgehend deren Wirkrichtung praktisch so zu verändern, dass
- die weitere Entwicklung von Lebensqualität nicht mehr mit weiter wachsendem materiellen Güterverbrauch, sondern mit einer Intensivierung von immateriellen Erlebnissen, Gütern, Werten und menschlichen Wachstumspotentialen verbunden wird. Aus dieser Perspektive geht es also nicht um eine generelle Wachstumskritik moderner Wirtschaft, sondern um
- einen Wachstumswandel in Richtung immaterieller Güter und Dienstleistungen.
Dazu ist es erforderlich, die bisher eher folgenforschungsorientierten sozial-ökologischen Denkansätze um tiefenkulturell-interdisziplinäre Begriffe und Denkansätze zu ergänzen. Mehr dazu im Folgenden.
2. Darstellung des Wissensstandes und Forschungslücken
Bisherige nachhaltigkeitsorientierte Forschungsansätze betrachten zwar auch verschiedene Aspekte dieser systemischen Wachstumstreiber (Agrar-, Versorgungs- und Verkehrssysteme, politische Strukturen etc.) und forschen nach wachstumsunabhängigen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen. Sie vernachlässigen jedoch dabei die in moderner Wirtschafts- und Sozialwissenschaft bisher generell wenig erforschten anthropologischen und tiefenkulturellen Verankerungen der Wachstumslogiken. (Nähere Ausführungen dazu siehe hier: www.cocre.eu/forschung/lebensintensität/; insbesondere die "Vergleichsstudie Sozialökologischer Denkansätze" ). Ausgangspunkte einer Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung, welche diese anthropologischen und tiefenkulturellen Verankerungen der Wachstumslogiken integrieren, finden sich in folgenden Bereichen moderner Wissenschaft:
- Interdisziplinäre Bedürfnisforschung, besonders in Anlehnung an die sogenannte "Maslowsche Bedürfnispyramide";
- Forschungen zu Grundlagen, Dimensionen, Indexen etc. von Lebensqualität; - Wirtschaftswissenschaftliche Denkansätze der Experience-Economy;
- Neuere sozialphilosophische Denkansätze, insbesondere die Resonanz-Soziologie von Hartmut Rosa;
- Tiefenkulturell orientierte Denkansätze in Sozial- und Humanwissenschaften (Johan Galtung, C.G.Jung u.a.);
- Sozialphilosophische bzw. sozialethische Forschungsansätze in Anlehnung an Max Webers Analysen der tiefenkulturellen Grundlagen moderner Wirtschaft ("Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus"); - Philosophisch-anthropologische Denkansätze zur "Intensität des Lebens" als Korrelat zur Extensität von Bedürfnisbefriedigungen;
- Philosophisch-anthropologische und tiefenpsychologische Forschungen zu transpersonalen bzw. seelischen Entwicklungspotentialen menschlicher Individuen und Gesellschaften.
Aufgrund der anderen Schwerpunktsetzungen moderner Wissenschaften fehlt es bisher an Forschungen, welche die o.g. Denkansätze aus der Perspektive nachhaltiger Transformationsprozesse integrieren und weiterführen.
3. Beschreibung möglicher Forschungsfragen
Denkt man in diese Richtung, so ergeben sich folgende Forschungsfragen:
- Welche interdisziplinären Begriffe und Denkansätze ermöglichen eine theoretische Integration der bisher weitgehend voneinander gespaltenen Wirtschafts-, Sozial-, Human- und Geisteswissenschaften?
- Wie lassen sich die oben unter "Wissensstand" aufgeführten Theorieansätze als Facetten und Ausgangspunkte einer intensitätsorientierten Lebensqualitätsforschung integrieren?
- Durch welche Dimensionen, Kriterien und skalierbaren Entwicklungspotentiale lässt sich der aufgrund bisher fehlender Forschung dazu noch recht undifferenzierte Begriff "seelischer Lebensintensität" bzw. "Intensitätsorientierter Lebensqualität" konkretisieren?
- Welche praktischen Unternehmens- und Gesellschaftsmilieubeispiele und welche sogenannten Reallabore bieten empirisch untersuchbare Ausgangsmodelle für die Erforschung von intensitäts- (statt materiell-)orientierter Lebensqualität?
Die neuesten Beiträge
Annotation vom 06.07.2018 - 9:54
Das Aufzeigen möglichst vieler realer Beispiele und eine Untersuchung der positiv-befördernden Ressourcen dieser Akteure ist aus meiner Sicht ein wichtiger Beitrag für die SÖF. Aufbauend darauf wäre es auch interessant lösungsorientiert nach Möglichkeiten der weiteren Verbreitung zu suchen.
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praktischen Unternehmens- und Gesellschaftsmilieubeispiele
Annotation vom 05.07.2018 - 20:14
Die Realisierungsmöglichkeiten unterschiedlicher Formen eines "guten Lebens" müssen unter Berücksichtigung soziokultureller Vielfalt und sozialstruktureller Ungleichheiten empirisch bestimmt werden. Hierbei sind besonders Kompetenzen, psychische Ressourcen, Normen und Kontrollüberzeugungen von Menschen zu betrachten. Nur auf diese Weise werden sich Entwicklungspfade für Nachhaltigkeit identifizieren lassen, die nicht vollständig auf materiellem Wachstum und den damit verbundenen Technologien basieren und stattdessen die empirisch nachgewiesenen Potenziale zum Persönlichkeitswachstum bei Menschen mit in den Blick nehmen.
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Interdisziplinäre Bedürfnisforschung, besonders in Anlehnung an die sogenannte "Maslowsche Bedürfnispyramide";
Annotation vom 05.07.2018 - 11:37
Die Frageso gestellt ist m.E. zu allgemein. Sie nimmt ja implizit Bezug auf vielfältige (Vor) Arbeiten der letzten Jahre. Es sollte also eher auf die bisherigen "Fehlschläge" der Integration eingegangen werden und die mutmaßlichen Gründe dafür. Es sind ja Überlegungen dazu angestellt, was nun neu dazu kommen müsste, um erfolgreicher zu sein.
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Welche interdisziplinären Begriffe und Denkansätze ermöglichen eine theoretische Integration der bisher weitgehend voneinander gespaltenen Wirtschafts-, Sozial-, Human- und Geisteswissenschaften?
Annotation vom 02.07.2018 - 22:11
Eine weitere Forschungsfrage in diesem Themenfeld wäre folgende: Wie lassen sich immaterielle bzw. intensitäts- statt extensitätsorientierte Lebensqualitätsfaktoren theoretisch fassen, empirisch erforschen und praktisch (d.h. politisch, wirtschaftlich und kulturell) fördern?
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so ergeben sich folgende Forschungsfra
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Annotation vom 06.07.2018 - 13:22
von aa65f2f3 am 06.07.2018
Zur Lebensqualität gehört auch die Qualität der Arbeit - insofern könnte dieses Themenfeld hier aufgenommen werden bzw. ist hier eine Verknüpfung zum Themenfeld "Sozialökologische Transformation der Arbeitsverhältnisse" möglich und sinnvoll.
Denn erst durch eine solche Verknüpfung werden Herstellung und Ge-bzw. Verbrauch von (materiellen/immateriellen) Gütern und Dienstleistungen als interdependente, unabdingbar aufeinander bezogene Gegenstandbereiche sinnhaft verknüpft und in den aus Forschungsperspektive notwendigerweise gesamthaft zu betrachtenden Zusammenhang gestellt.
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