Vorsorgendes Arbeiten – Sozial-ökologische Transformation der Arbeitsverhältnisse
Neu eingereichtes Thema
Autoren: Andrea Baier, Adelheid Biesecker, Daniela Gottschlich, Sabine Hofmeister, Tanja Mölders, und Babette Scurrell vom Netzwerk „Vorsorgendes Wirtschaften“
1. Sozial-ökologische Problemlagen
Es herrscht weitgehend Konsens, dass das vorherrschende Wirtschaftsmodell zu inzwischen überdeutlichen ökologischen Schäden führt. Entsprechend werden der immanente Wachstumszwang und der damit weiter ansteigende Naturverbrauch kritisiert, und es wird nach Strategien für eine „Wirtschaft ohne Wachstum“, für ein ökologisch nachhaltiges Wirtschaften gesucht. Übersehen wird dabei häufig, dass unsere Wirtschaftsweise sozial-ökologisch nicht nachhaltig ist, dass sie nicht nur mit steigendem Naturverbrauch, sondern auch mit einer problematischen Vernutzung von Arbeitskraft einhergeht. Arbeit orientiert sich zu wenig an den Lebensbedürfnissen der Arbeitenden, die Gestaltung von Arbeit und ihre Bezahlung sind vor allem geprägt von unternehmerischen Rentabilitätsansprüchen. Aus der Perspektive von Arbeitsgeber*innen ist Arbeit ein Kostenfaktor und soll möglichst billig sein. Aus der Perspektive der Arbeitenden sind Arbeit und Lohn Lebensmittel; Arbeitsbedingungen sowie Entlohnung sollen ihnen ein gutes Leben ermöglichen. Aber über die Ausgestaltung von Arbeit wird – ebenso wie über die Zahl der Arbeitsplätze, über Einstellungen und Entlassungen – nach Renditekriterien entschieden. Vor diesem Hintergrund treibt viele Arbeitnehmer*innen angesichts der kommenden Roboterisierung Existenzangst um: Wer wird in „Arbeit 4.0“ noch gebraucht, und wer wird überflüssig?
Übersehen wird dabei ebenfalls, dass das Verständnis von Wirtschaften auf einem engen Arbeits- und Produktivitätsbegriff beruht, der nur die Erwerbsarbeit, die bezahlte Arbeit als „produktiv“ begreift. Ausgegrenzt werden alle unbezahlten Arbeiten jenseits des Marktes wie auch die ökologischen Leistungen. Die Leistungen der Natur gelten wie die unbezahlten Arbeiten als unproduktiv, bestenfalls als reproduktiv. Da diese Arbeit hauptsächlich von Frauen geleistet wird, ist dieses Arbeitskonzept ihnen gegenüber dreifach ungerecht: ökonomisch, weil ihre Arbeit – sofern sie im Privaten stattfindet – gar nicht oder – als personenbezogene Dienstleitung schlecht bezahlt wird; gesellschaftlich, weil sie nicht anerkannt wird, und politisch, weil diese Abwertung und Ausgrenzung die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft be- bzw. verhindert (vgl. Nancy Fraser, die Gerechtigkeit als „gleichberechtigte Teilhabe“ konzeptioniert). Wie die Produktivität von Frauen wird auch die Produktivität der Natur(en) als unhinterfragt vorhanden und deshalb vernutzbar behandelt. Die Privilegierung der Erwerbsarbeit ist mit der Abwertung der unbezahlten Arbeit wie der Abwertung des Beitrags der Natur systematisch verbunden. Insgesamt ist dieses Arbeitskonzept folglich der Natur nicht gemäß, nicht lebensdienlich und nicht geschlechtergerecht. Eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Lebensweise benötigt ein anderes Arbeitskonzept. Sozial-ökologische Transformationsprozesse schließen daher die Transformation der Arbeits- und Produktionsverhältnisse ein.
2. Darstellung des Wissensstandes und Forschungslücken
Im Rahmen des Netzwerks „Vorsorgendes Wirtschaften“ arbeiten wir u.a. an solch einem neuen Arbeits- und Produktivitätskonzept für eine sozial-ökologische Transformation. Eine Basis in diesem Zusammenhang ist die Kategorie (Re)Produktivität (Biesecker/ Hofmeister 2006 u.a.) und der mit ihr verbundene vierstufige gesellschaftliche (Re)Produktionsprozess. Kern des Konzepts (wir nennen es „Vorsorgendes Arbeiten“) ist ein erweitertes Verständnis von Arbeit als vielfältiges „Arbeiten“. Ausgangspunkt ist die Kritik an der für marktorientiertes kapitalistisches Wirtschaften konstitutiven Trennungsstruktur zwischen produktiven und den sogenannten reproduktiven Tätigkeiten und Leistungen – das sind die ökonomisch nicht bewerteten, nicht über Märkte koordinierten, unbezahlten Arbeiten in der sozialen Lebenswelt und die Naturleistungen („ecosystem services“).
„Arbeiten“ umfasst somit – über die Erwerbsarbeit hinaus – alle (re)produktiven Tätigkeiten und Leistungen. Ein solchermaßen erweiterter Arbeitsbegriff kann nicht additiv gefunden werden (Erwerbsarbeit + Versorgungs- + Sorge- + Eigenarbeit + bürgerschaftliches Engagement + ...). Wenn doch, werden – das hat die feministische Debatte der 1970er/80er Jahre gezeigt – die vorherrschenden geschlechtlich geprägten Trennungsstrukturen mitgenommen oder/und in anderer Form reproduziert. Über eine notwendige Erweiterung des Arbeitsbegriffs ist sich der feministische Diskurs weitgehend einig – hinsichtlich der Frage, wie ein integriertes Konzept aussehen und gestaltet werden kann, noch nicht. Hier besteht eine große Forschungslücke und daher großer Forschungsbedarf.
Ein Verständnis für diese für eine sozial-ökologische Transformation notwendige Erweiterung des Arbeitskonzepts findet sich in anderen Bereichen der Transformationsdebatte kaum: So thematisiert der WBGU in seinem Hauptgutachten von 2011 mit dem Titel „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ Arbeit überhaupt nicht. Und im Postwachstumsdiskurs findet zwar ein Nachdenken über Arbeit statt, aber vor allem im herkömmlichen Sinne über Arbeit als Erwerbsarbeit. Diese soll „gute Arbeit“ sein, kritisiert werden insbesondere aktuelle Tendenzen der Auflösung geschützter Arbeitsverhältnisse sowie der Prekarisierung. Sogar dort, wo ein erweitertes Verständnis von Arbeit aufscheint (vgl. z. B. Liebig et al. in ihrem Aufsatz „Bedingungen und Optionen der Arbeitspolitik für die Postwachstumsgesellschaft“ von 2017), macht die Konzentration auf Erwerbsarbeit und Arbeitszeitverkürzung die Chance für einen erweiterten Arbeitsbegriff zunichte. Eine Verknüpfung mit den aktuellen feministischen Debatten um „Care“ und „Vorsorge“ findet nicht statt. Hier tut sich eine zweite Forschungslücke auf.
Denn auch die Care-Debatte reicht zur Erweiterung des Arbeitskonzepts für eine nachhaltige Gesellschaft nicht aus. Zwar kritisiert diese Debatte den Dualismus zwischen Markt und Nicht-Markt, zwischen „produktiv“ und „reproduktiv“ und macht deutlich, dass Ökonomie mehr ist als Marktökonomie, dass letztere von einer außermarktlichen Care-Ökonomie getragen und ermöglicht wird. Und sie hat auch gezeigt, dass in der Care-Ökonomie andere Prinzipien als Effizienz und Profitabilität eine Rolle spielen, dass es um eine andere Rationalität geht (Fürsorgerationalität statt Maximierungsrationalität). Aber die Debatten um die Sorge-Beziehungen und Sorge-Prozesse thematisieren meistens nur neue zwischenmenschliche Beziehungen. Was vergessen wird, ist in der Regel der Bezug zur Natur, die Frage nach neuen Beziehungen zur Natur wird meistens nicht gestellt. Die Erweiterung des Arbeitskonzepts verbleibt in der Care-Debatte daher fast ausschließlich im Sozialen.
Nachhaltigkeit ist jedoch von vornherein ein sozial-ökologisches Konzept und fordert sozial-ökologische Qualitäten ein. Mit dem ISOE verstehen wir Nachhaltigkeit als einen offenen Prozess, in dem es darum geht, im heutigen Wirtschaften die produktiven sozialen und ökologischen Grundlagen zu erhalten und zu erneuern. Arbeiten wird von uns daher als gesellschaftliches Handeln mit dem Ziel der Wiederherstellung der sozialen und ökologischen Grundlagen menschlichen Lebens begriffen. Es dient der Gestaltung und Erneuerung der (Re)Produktionsgrundlagen von Gesellschaft und Natur und wird als gesellschaftliche Vermittlungsaufgabe zwischen Natur- und menschlicher Produktivität verstanden. Solche Arbeitsprozesse sind zukunftsbezogen zu organisieren. Arbeiten ist vorsorgendes Handeln und zielt auf die Gestaltung eines guten Lebens für die heutigen und für zukünftige Generationen.
Neues wird nicht einfach gedanklich gefunden, sondern entsteht auch in sozialen Experimenten. Das gilt auch für neue Formen des Arbeitens. In verschiedenen sozialen Projekten oder Bewegungen wird heute mit neuen Arbeitsformen und neuen Kombinationen verschiedener bestehender Arbeitsarten experimentiert. Beispiele dafür sind Urban Gardening, Solidarische Landwirtschaft, Repair-Cafés, die Neulandgewinner sowie die moderne Commons- und Commoning-Bewegung. Diese Bewegungen können aus der Perspektive einer sozial-ökologischen Transformation der Arbeitsverhältnisse als Reallabore verstanden werden. Die Auswertung ihres Beitrags zur Neubestimmung von Arbeit steht jedoch noch aus, auch hier besteht eine Forschungslücke.
3. Beschreibung möglicher Forschungsfragen
A) Aus unserem sozial-ökologischen Verständnis von Arbeit leiten sich zunächst Forschungsfragen bezüglich dreier, nicht voneinander zu trennender Dimensionen ab:
Materielle und technische Dimension der zukünftigen Arbeitsgesellschaft:
- Wie können Produktentwicklung und Produktion im Hinblick auf die mit den Produkten verkoppelten sozialen und ökologischen „Redukte“ entwickelt werden (stoffliche und energetische Prozess- und Produktgestaltung)? (Bezug zu Energie- und Stoffstromanalysen, wie sie z.B. an der Universität Klagenfurt durchgeführt werden).
- Welche Rolle spielen globale Produktionsketten? Erfordert die sozial-ökologische Transformation eine Re-Regionalisierung der Produktion?
- Welche Rolle spielen welche erneuerbaren Energien?
- Digitalisierung und Roboterisierung: Kann die „Industrie 4.0“ für eine sozial-ökologische Transformation genutzt werden, oder verhindert sie sie?
- Welchen Beitrag können betriebliche Qualitätszirkel leisten?
Sozial-kulturelle Dimension der zukünftigen Arbeitsgesellschaft:
Wie kann Arbeit – entlang der Phasen des (Re)Produktionsmodells – auf alle Mitglieder der Gesellschaft gerecht verteilt werden?
Welche Rolle spielen dabei global organisierte Arbeitsprozesse (z. B. global care chains)?
Welche Um- und Neubewertungen sind notwendig – und wo sind sie schon im Gang?
Wie kann eine gerechte Teilhabe an gesellschaftlichen Aushandlungs- und Bewertungsprozessen von Arbeit ermöglicht werden?
Wie sehen neue Einkommensmodelle für das zukünftige vielfältige Arbeiten aus? (Bezug zur Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen)
Arbeit 4.0“: Finden sich in dieser Debatte Anknüpfungspunkte für eine sozial-ökologische Transformation der Arbeitsverhältnisse?
Kulturell symbolische Dimension
- Welche Veränderungen (Verschiebungen, Verknüpfungen, Auflösungen und/oder Neukonstellationen) kulturell symbolischer Ordnungen entstehen in und durch sozial-ökologische Transformationsprozesse?
- Was bedeutet dies in Hinblick auf gesellschaftliche Natur- und Geschlechterverhältnisse?
B) Forschungsfragen bezüglich der politischen Gestaltung des sozial-ökologischen Transformationsprozesses der Arbeitsverhältnisse:
- Wie kann die bestehende Arbeitsmarktpolitik in eine sozial-ökologische Arbeitspolitik umgeformt werden?
- Welche politischen Maßnahmen sind möglich, um die Abwertung der Arbeiten außerhalb des Marktes zukünftig zu verhindern und deren Aufwertung voranzubringen? Wo gibt es schon Ansatzpunkte?
- Was lässt sich hierzu von anderen Ländern, insbesondere den skandinavischen, lernen?
- Wie lässt sich die Teilhabe der Akteur*innen in den verschiedenen Arbeitsfeldern organisieren? Wie können bisher ausgegrenzte, ungehörte Stimmen Gehör finden, wie lässt sich z.B. ein „Parlament der ungehörten Stimmen“ organisieren?
C) Forschungsfragen, die sich auf die Auswertung verschiedener sozialer Bewegungen beziehen, in denen mit neuen Formen von Arbeit experimentiert wird:
- Welche Arten von Arbeiten werden in den Projekten geleistet? Gibt es Arbeiten, für die die alten Begriffe nicht passen (z.B. commoning)? Welche neuen Begriffe tauchen auf?
- Wer macht welche Arbeiten, und wie wird über die Verteilung der Arbeiten entschieden? (Frage nach Geschlechterverhältnissen und Demokratie)
- Wie erfolgt die Koordination verschiedener Tätigkeiten?
- Welche Um- oder Neubewertungen geschehen, und wie verlaufen Bewertungsprozesse?
- Welche projektspezifischen Naturverhältnisse lassen sich ausmachen?
- Wie) Wirkt sich räumliche Nähe und/oder Distanz auf die Ausgestaltung (re)produktiver Arbeits- und Naturverhältnisse aus?
Die neuesten Beiträge
Annotation vom 04.07.2018 - 22:48
Die Autorinnen dieser Eingabe stimmen der Problembeschreibung sowohl im Themenvorschlag „Vorsorgendes Arbeiten“ wie im Themenvorschlag „Sozial-ökologische Pfade zu einer wachstumsunabhängigen Gesellschaft“ in weiten Teilen zu. Aus Sicht des Konzepts der Postwachstumsgesellschaft sehen wir den Bedarf für eine zusätzliche Fokussierung der Problembeschreibung und Forschungsaufgaben für den Themenvorschlag der Transformation der Arbeitsverhältnisse.
Zur Problembeschreibung: Die politische und gesellschaftliche Forderung nach Wachstum ist wesentlich im Ziel begründet ist, Erwerbsarbeitsplätze zu schaffen. Erwerbsarbeit bzw. das daraus erzielte Einkommen sind die Basis für Steuereinnahmen, für Sozialbeiträge sowie die materielle Existenz der Erwerbstätigen und ihrer Familien. Doch den meisten westlichen Ländern gelingt es immer weniger, ausreichend Erwerbsarbeitsplätze zu schaffen, insbesondere solche mit einer Bezahlung, die eine Partizipation in der Gesellschaft ermöglicht (derzeit trifft dies für Deutschland nur begrenzt zu, doch es ist sehr fraglich, ob sich diese Situation längerfristig fortsetzt). Die Gründe für diese Schwierigkeiten sind vielfältig, ein aktuell stark diskutierter Faktor ist die Digitalisierung, die einen spürbaren Wegfall von Erwerbsarbeitsplätzen bedeuten könnte. Unsicher ist auch, ob der hohe deutsche Exportüberschuss auf längere Sicht aufrechterhalten werden kann. Schliesslich bringt der nötige Strukturwandel zugunsten der Nachhaltigkeitsziele Beschäftigungsrisiken (z.B. im Klimabereich beim Ausstieg aus der Kohle und der anstehenden Verkehrswende). V.a. mit dem Beschäftigungsargument wird weiter Wachstum gefordert, was jedoch die Lösung drängender Probleme aufschiebt, u.a. die Einhaltung der ökologischen (planetaren) Grenzen.
Dass an der ökonomischen Wachstumsorientierung so festgehalten wird, liegt auch in den gesellschaftlichen Strukturen begründet, die in der Annahme dauerhaften Wirtschaftswachstums aufgebaut wurden. Dies gilt z.B. für Steuersystem sowie die Finanzierung der Sozialversicherung: ein grosser Teil der Steuereinnahmen basiert auf der Besteuerung der Erwerbsarbeit; dergleichen wird das Sozialsystem (Renten, Gesundheit) in hohem Maße über Abgaben auf Erwerbsarbeit finanziert. Die hohe Steuer- bzw. Abgabenbelastung von Erwerbseinkommen führt dazu, dass die Steigerung der Arbeitsproduktivität vorangetrieben wird, was allerdings Erwerbsarbeitsplätze kostet. Um diese durch neue Arbeitsplätze zu ersetzen, ist nach der bisherigen Logik und den bisherigen Wirkmechanismen wiederum Wirtschaftswachstum nötig.
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1. Sozial-ökologische Problemlagen
Annotation vom 28.06.2018 - 18:04
Der vorliegende Vorschlag sollte durch Fragen zur sozial-ökologischen Transformation der Erwerbs- und Berufsarbeit ergänzt werden:
- Welche sozial-ökologische Relevanz haben die verschiedenen Berufe und welche Probleme und Potentiale hinsichtlich einer Transformation hin zu Nachhaltigkeit ist mit ihnen verbunden
- In welcher Weise interferiert die digitale Transformation der Arbeits- und Berufswelt mit der sozial-ökologischen Transformation der Beruflichkeit. Müssen möglicherweise aktuelle Szenarien über die Zukunft der Berufswelt bei Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten grundlegend revidiert werden?
- Wie können durch die Forschung die aktuellen Bemühungen um eine verstärkte Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung unterstützt werden?
- Kann die zunehmende normative Subjektivierung von Arbeit dazu beitragen, dass die Beschäftigten verstärkt an der sozial-ökologischen Umgestaltung der Arbeitswelt mitwirken?
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B) Forschungsfragen bezüglich der politischen Gestaltung des sozial-ökologischen Transformationsprozesses der Arbeitsverhältnisse:
Annotation vom 28.06.2018 - 18:02
Eine Betrachtung der globalen Produktionsketten wird richtigerweise als zentraler Forschungsgegenstand genannt. Dabei sollte neben der Frage einer Re-Regionalisierung auch die Thematik der Steuerung und Kontrolle globaler Wertschöpfungsketten behandelt werden. Insbesondere durch den Einsatz digitaler Technologien ergeben sich hier aktuell neue Chancen und Risiken. Ebenso wäre nach Möglichkeiten eines Übergangs zu sozial-ökologisch fairen Handels- und Arbeitsordnungen und damit einer Veränderung der Beziehung zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden zu fragen.
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Welche Rolle spielen globale Produktionsketten? Erfordert die sozial-ökologische Transformation eine Re-Regionalisierung der Produktion?
Annotation vom 28.06.2018 - 18:01
Das Plädoyer, das Thema Arbeit ins Zentrum der Diskussionen um einen sozial-ökologische Transformation zu stellen und dabei einen erweiterten Arbeitsbegriff zugrunde zu legen, ist zweifelsohne zu begrüßen. Allerdings wäre es verkürzt, nur auf das Konzept des „vorsorgenden Wirtschaftens“ zur rekurrieren und andere Diskussionsstränge, die ebenfalls auf eine soziale-ökologische Transformation der Arbeitsgesellschaft abzielen, auszublenden. Verwiesen sei hier u.a. auf die Diskussionen um einen Übergang zu „nachhaltiger Arbeit“ (UNDP 2015; Barth et al. 2016).
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Im Rahmen des Netzwerks „Vorsorgendes Wirtschaften“ arbeiten wir u.a. an solch einem neuen Arbeits- und Produktivitätskonzept für eine sozial-ökologische Transformation. Eine Basis in diesem Zusammenhang ist die Kategorie (Re)Produktivität (Biesecker/ Hofmeister 2006 u.a.) und der mit ihr verbundene vierstufige gesellschaftliche (Re)Produktionsprozess. Kern des Konzepts (wir nennen es „Vorsorgendes Arbeiten“) ist ein erweitertes Verständnis von Arbeit als vielfältiges „Arbeiten“.
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Annotation vom 04.07.2018 - 22:55
von aa6550f3 am 04.07.2018
Im Folgenden geben wir einen Ausschnitt aus der Forschungslandkarte für eine Postwachstumsgesellschaft im Hinblick auf den Bereich Arbeit und Erwerbsarbeit wieder, der im Buch „Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft“, 2010 (Hrsg. Irmi Seidl, Angelika Zahrnt, S. 229ff) abgedruckt ist. Da die Forschungsfragen nach unserer Beobachtung weiterhin aktuell sind, reichen wir sie zur Erweiterung des Themenvorschlags Vorsorgendes Arbeiten aus einer Postwachstumsperspektive ein. Dem folgen Forschungsfragen zu Steuern, Abgaben und öffentlichem Haushalt
„Erwerbsarbeit wird auch in einer Postwachstumsgesellschaft eine zentrale Rolle im Leben der Menschen und ihrer Existenzsicherung einnehmen. Zugleich wird und muss im Sinne einer Tätigkeitsgesellschaft eine stärkere Verzahnung mit anderen Formen von Arbeit (Familien-, Freiwilligen-, Eigenarbeit) stattfinden.
Um einen breiteren und damit gerechteren Zugang zu Erwerbsarbeitsmöglichkeiten zu schaffen, ist die vorhandene Erwerbsarbeit auf mehr Menschen zu verteilen. Dazu braucht es auf Unternehmensebene grundlegende und begleitende Forschung über Strukturen und Modelle für reduzierte Arbeitszeit (Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit und ihre Verrechnung) und über diesbezügliche Anreizsysteme. Solche Anreizsysteme können z.B. in Steueranreizen bestehen oder in der Umgestaltung des Lohn- und Beförderungssystems. Dabei sind auch genderspezifische Widerstände bzw. Präferenzen sowie das Primat von Erwerbsarbeit gegenüber anderen Kategorien von Arbeit zu untersuchen. Wichtig im Zusammenhang mit verringerter individueller Erwerbsarbeit sind die Auswirkungen auf die Sozialversicherungssysteme und die Frage des Lohnausgleiches: Welchen Lohnausgleich braucht es, um Reduktionen der Erwerbsarbeit sozial verträglich zu gestalten? Ein Verteilen der vorhandenen Erwerbsarbeit auf mehr Menschen erfordert, dass die nötigen Qualifikationen vorhanden sind. Wie kann das nötige Qualifikationsniveau erreicht werden? Hierzu ist eine kritische Evaluation von Integrationsmaßnahmen und berufsqualifizierender Ausbildung nötig. Wie schaffen es die Länder in Skandinavien und die Schweiz, eine hohe Beteiligung am Arbeitsmarkt zu erreichen?
Da in einer Postwachstumsgesellschaft der Umfang wirtschaftlicher Aktivität stärker variieren könnte als jetzt, sind Maßnahmen zu entwickeln, wie gleichwohl Stabilität auf dem Arbeitsmarkt gesichert werden kann (z.B. analog zum Kurzarbeitergeld) bzw. wie eine schnelle Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt möglich wird. Zu untersuchen ist auch, ob eine – und wenn ja: was für eine – aktive Nachhaltigkeitspolitik wirtschaftsstabilisierend wirken kann.
Für die Sicherung der Altersversicherungssysteme wird häufig eine Ausdehnung der Lebensarbeitszeit gefordert. Eine andere Position besagt, dass es auch bei alternder Bevölkerung und verringertem bzw. ausbleibendem Wachstum keinen Sachzwang zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit gibt, sondern es um Verteilung geht: Wie kann es in reichen Gesellschaften gelingen, die nicht erwerbstätige Bevölkerung (Rentnerinnen und Rentner, Kinder, Erwerbsarbeitslose) aus dem hohen Sozialprodukt ausreichend zu versorgen? In jedem Fall ist zu untersuchen, ob eine generelle Erhöhung der Lebensarbeitszeit nötig ist oder eine flexible Ausdehnung für diejenigen, die länger arbeiten wollen, ausreicht. Wie sind Unternehmensstrukturen zu gestalten und Unternehmenskulturen zu entwickeln, um ältere Menschen im Erwerbsarbeitsbereich zu beschäftigen, und wie kann lebenslanges Lernen gefördert werden? Wie kann die Forderung nach verringerter Erwerbsarbeitszeit und verlängerter Lebensarbeitszeit vereinbart werden?
Die Orientierung am Wachstum und damit einhergehend an Effizienz hat in der Arbeitswelt eine Arbeitsverdichtung und Standardisierung bewirkt, die die Gesundheit der Erwerbstätigen beeinträchtigt. Welche Arbeitsformen, welche Arbeitsorganisation, welche Tätigkeiten und Fähigkeiten und welches Tempo sind geeignet, damit Menschen in ihrer Arbeit Sinn und Zufriedenheit finden? Die immaterielle Befriedigung bei der Erwerbsarbeit ist in einer Postwachstumsgesellschaft noch wichtiger als bisher, da es für Erhöhungen des Erwerbseinkommens weniger Spielraum geben wird.
Weiter ist zu untersuchen, welche Strukturen aufgebaut werden können, um Lebenszeit über die Erwerbsarbeitszeit hinaus produktiv, individuell befriedigend und gesellschaftlich gewinnbringend zu gestalten. Wie können Freiwilligenarbeit, Eigenarbeit, Subsistenzarbeit und bürgerschaftliches Engagement für eine Mehrheit der Bevölkerung zugänglich gemacht werden, wie können entsprechende Strukturen finanziert werden und wie kann das Verhältnis von Staat und privater Initiative dabei aussehen? Mit welchen Anreizen kann eine Beteiligung an diesen Formen der Arbeit gefördert werden und welche Möglichkeiten bestehen, Nichterwerbsarbeit in die soziale Sicherung einzubauen?“ (Seidl / Zahrnt 2010, S. 230-32).
Ein weiterer wichtiger Fragenbereich sind die Besteuerung des Faktors Arbeit und die Sozialabgaben. Wie oben angedeutet, führt das aktuelle Steuer- und Abgabensystem zu einem ständigen Anreiz, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen, wobei Wachstum die wegfallenden Arbeitsplätze kompensieren soll. Zentral ist deshalb zu untersuchen, welche anderen Steuern- und Abgabensysteme denkbar sind, die den Druck auf Arbeitseffizienzerhöhungen abschwächen bzw. welch anderen staatlichen Einnahmequellen denkbar sind, um die Steuer- und Abgabenlast zu verringern (Ökologische Steuerreform, Finanztransaktionssteuer, Bit- bzw. Maschinensteuer).
Schliesslich ist auch zu fragen, ob die oben angedeuteten gesellschaftlichen Veränderungen (Arbeitszeitverkürzung, größere Vielfalt an Tätigkeiten…) die staatlichen Ausgaben verringern können – sei es im Gesundheitswesen (durch einen besseren Gesundheitszustand auf Grund von mehr Vorsorge und weniger Stress) oder bei sozialen Aufgaben (die teilweise im informellen Bereich geleistet werden)
„Erwerbsarbeit wird auch in einer Postwachstumsgesellschaft eine zentrale Rolle im Leben der Menschen und ihrer Existenzsicherung einnehmen. Zugleich wird und muss im Sinne einer Tätigkeitsgesellschaft eine stärkere Verzahnung mit anderen Formen von Arbeit (Familien-, Freiwilligen-, Eigenarbeit) stattfinden.
Um einen breiteren und damit gerechteren Zugang zu Erwerbsarbeitsmöglichkeiten zu schaffen, ist die vorhandene Erwerbsarbeit auf mehr Menschen zu verteilen. Dazu braucht es auf Unternehmensebene grundlegende und begleitende Forschung über Strukturen und Modelle für reduzierte Arbeitszeit (Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit und ihre Verrechnung) und über diesbezügliche Anreizsysteme. Solche Anreizsysteme können z.B. in Steueranreizen bestehen oder in der Umgestaltung des Lohn- und Beförderungssystems. Dabei sind auch genderspezifische Widerstände bzw. Präferenzen sowie das Primat von Erwerbsarbeit gegenüber anderen Kategorien von Arbeit zu untersuchen. Wichtig im Zusammenhang mit verringerter individueller Erwerbsarbeit sind die Auswirkungen auf die Sozialversicherungssysteme und die Frage des Lohnausgleiches: Welchen Lohnausgleich braucht es, um Reduktionen der Erwerbsarbeit sozial verträglich zu gestalten? Ein Verteilen der vorhandenen Erwerbsarbeit auf mehr Menschen erfordert, dass die nötigen Qualifikationen vorhanden sind. Wie kann das nötige Qualifikationsniveau erreicht werden? Hierzu ist eine kritische Evaluation von Integrationsmaßnahmen und berufsqualifizierender Ausbildung nötig. Wie schaffen es die Länder in Skandinavien und die Schweiz, eine hohe Beteiligung am Arbeitsmarkt zu erreichen?
Da in einer Postwachstumsgesellschaft der Umfang wirtschaftlicher Aktivität stärker variieren könnte als jetzt, sind Maßnahmen zu entwickeln, wie gleichwohl Stabilität auf dem Arbeitsmarkt gesichert werden kann (z.B. analog zum Kurzarbeitergeld) bzw. wie eine schnelle Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt möglich wird. Zu untersuchen ist auch, ob eine – und wenn ja: was für eine – aktive Nachhaltigkeitspolitik wirtschaftsstabilisierend wirken kann.
Für die Sicherung der Altersversicherungssysteme wird häufig eine Ausdehnung der Lebensarbeitszeit gefordert. Eine andere Position besagt, dass es auch bei alternder Bevölkerung und verringertem bzw. ausbleibendem Wachstum keinen Sachzwang zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit gibt, sondern es um Verteilung geht: Wie kann es in reichen Gesellschaften gelingen, die nicht erwerbstätige Bevölkerung (Rentnerinnen und Rentner, Kinder, Erwerbsarbeitslose) aus dem hohen Sozialprodukt ausreichend zu versorgen? In jedem Fall ist zu untersuchen, ob eine generelle Erhöhung der Lebensarbeitszeit nötig ist oder eine flexible Ausdehnung für diejenigen, die länger arbeiten wollen, ausreicht. Wie sind Unternehmensstrukturen zu gestalten und Unternehmenskulturen zu entwickeln, um ältere Menschen im Erwerbsarbeitsbereich zu beschäftigen, und wie kann lebenslanges Lernen gefördert werden? Wie kann die Forderung nach verringerter Erwerbsarbeitszeit und verlängerter Lebensarbeitszeit vereinbart werden?
Die Orientierung am Wachstum und damit einhergehend an Effizienz hat in der Arbeitswelt eine Arbeitsverdichtung und Standardisierung bewirkt, die die Gesundheit der Erwerbstätigen beeinträchtigt. Welche Arbeitsformen, welche Arbeitsorganisation, welche Tätigkeiten und Fähigkeiten und welches Tempo sind geeignet, damit Menschen in ihrer Arbeit Sinn und Zufriedenheit finden? Die immaterielle Befriedigung bei der Erwerbsarbeit ist in einer Postwachstumsgesellschaft noch wichtiger als bisher, da es für Erhöhungen des Erwerbseinkommens weniger Spielraum geben wird.
Weiter ist zu untersuchen, welche Strukturen aufgebaut werden können, um Lebenszeit über die Erwerbsarbeitszeit hinaus produktiv, individuell befriedigend und gesellschaftlich gewinnbringend zu gestalten. Wie können Freiwilligenarbeit, Eigenarbeit, Subsistenzarbeit und bürgerschaftliches Engagement für eine Mehrheit der Bevölkerung zugänglich gemacht werden, wie können entsprechende Strukturen finanziert werden und wie kann das Verhältnis von Staat und privater Initiative dabei aussehen? Mit welchen Anreizen kann eine Beteiligung an diesen Formen der Arbeit gefördert werden und welche Möglichkeiten bestehen, Nichterwerbsarbeit in die soziale Sicherung einzubauen?“ (Seidl / Zahrnt 2010, S. 230-32).
Ein weiterer wichtiger Fragenbereich sind die Besteuerung des Faktors Arbeit und die Sozialabgaben. Wie oben angedeutet, führt das aktuelle Steuer- und Abgabensystem zu einem ständigen Anreiz, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen, wobei Wachstum die wegfallenden Arbeitsplätze kompensieren soll. Zentral ist deshalb zu untersuchen, welche anderen Steuern- und Abgabensysteme denkbar sind, die den Druck auf Arbeitseffizienzerhöhungen abschwächen bzw. welch anderen staatlichen Einnahmequellen denkbar sind, um die Steuer- und Abgabenlast zu verringern (Ökologische Steuerreform, Finanztransaktionssteuer, Bit- bzw. Maschinensteuer).
Schliesslich ist auch zu fragen, ob die oben angedeuteten gesellschaftlichen Veränderungen (Arbeitszeitverkürzung, größere Vielfalt an Tätigkeiten…) die staatlichen Ausgaben verringern können – sei es im Gesundheitswesen (durch einen besseren Gesundheitszustand auf Grund von mehr Vorsorge und weniger Stress) oder bei sozialen Aufgaben (die teilweise im informellen Bereich geleistet werden).
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