Einleitungstext

Sozial-ökologische Dimensionen des Wohnens

 


Neu eingereichtes Thema

Autoren: Gisela Schmitt (RWTH Aachen), Jan Polívka (Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung)

1. Sozial-ökologische Problemlagen

Die aktuelle Wohnungsmarktlage in unseren Städten und Gemeinden ist gekennzeichnet durch eine Schieflage von Angebot und Nachfrage, die sich in strukturschwachen ländlichen Regionen in zunehmenden Wohnungsleerständen zeigt und in den Wachstumsregionen zu einer Wohnungsknappheit vor allem in den Metropolen und Universitätsstädten führt. In politischen und fachlichen Diskursen wird diese Situation vielfach als die „Rückkehr der Wohnungsfrage“ thematisiert, was zum einen deutlich macht, dass sich hier ein krisenhafter Vorgang wiederholt und zum anderen bedeutet, dass es angesichts des „Marktversagens“ einer erneuten fundierten, und bestenfalls kontinuierlichen gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Wohnungsversorgung bedarf.

Ein Blick in die Historie zeigt, dass zyklisch auftretende Wohnungsnöte in der Regel durch ein verändertes – in der Dimension unterschätztes – Wanderungsverhalten ausgelöst werden, auf die ein Wohnungsmarkt mit langen Reaktionszeiten nicht angemessen reagieren kann oder will. In dem Politikfeld Wohnen führen die wiederkehrenden Krisen zu konflikthaften, vielfach ideologisch geführten Debatten und zu einem oft aktionistisch anmutenden Krisenmanagement mit schnellen Rückgriffen auf „bewährte“ Instrumente und Strategien. Die Tatsache, dass die Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik Deutschland marktförmig organisiert ist, impliziert den Doppelcharakter der Wohnung als Sozial- und Wirtschaftsgut. Letztlich war die Wohnungsfrage zu keiner Zeit abgearbeitet und dennoch hat die Co-Produktion von Wohnraum zwischen Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft auch immer wieder über lange Strecken funktioniert und zu einem hohen Wohnstandard und ausgewogener sozialräumlicher Verteilung geführt.

Der gegenwärtigen Wohnungsmarktlage liegt ein breit gefächertes Bündel an Ursachen zugrunde, das in den gegenwärtigen Diskursen bereits breit diskutiert und dargestellt wurde. Die daraus aktuell resultierenden Herausforderungen und Aufgaben liegen heute weitgehend bei den Städten und Gemeinden und lassen sich aufgrund der regional und kleinräumig differenzierten Ausgangslagen nicht auf „die klassische Wohnungsfrage“ – die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen – reduzieren. Die Wohnungspolitik stellt sich heute als eine Vielzahl strategischer Ansätze vorrangig auf der kommunalen Ebene dar.
In der Verständigung über die Ziele, Prinzipien und Machbarkeiten einer nachhaltigen Wohnungsversorgung im Spannungsfeld zwischen den Interessen des Gemeinwohls/der Daseinsvorsorge, der Gewinnorientierung in der Wohnungswirtschaft und den Anforderungen der Nachfrager herrscht jedoch weiterhin große Uneinigkeit. 

2. Darstellung des Wissensstandes und der Forschungslücken

Der inhaltliche Diskurs über eine sozial-ökologische Wohnungsversorgung und das nachhaltige Wohnen in der Stadt stagniert. Die benötigten Quantitäten lassen sich hinlänglich eingrenzen, dazu gibt es auf allen Ebenen (Bund, Land und Kommune) und für unterschiedliche Teilmärkte zahlreiche – wenn auch oft widersprüchliche – Gutachten, Studien und Prognosen.

Die Verständigung über die qualitativen Aspekte der Wohnungsfrage, wie die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbaren, angemessen Wohnraum in dieser Gesellschaft nachhaltig sichergestellt werden kann, gestaltet sich schwierig. Das Forschungsfeld wird bestimmt von anwendungsorientierter Politik- und Begleitforschung, die – sehr stark der bisherigen Ideengeschichte des Wohnens verhaftet – die Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Akteure mit dem Instrumentarium Geld, Recht und Kooperation thematisiert.  Grundlegende Erklärungsmuster im wissenschaftlichen Diskurs (Politikwissenschaft, kritische Stadtforschung; Geographie, Planungstheorie) zu Phänomen wie Segregation, Gentrification oder neuen Staats- und Steuerungsformen sind mit der anwendungsorientierten Forschung zur Wohnungsversorgung und der sozial-ökologischen Forschung kaum „verlinkt“.

Vor diesem Hintergrund lassen sich Forschungslücken und -fragen benennen:

Wie lässt sich eine angemessene Wohnungsversorgung sozial absichern? 

Von dem Wohnraummangel in den prosperierenden Städten sind die einkommensschwachen Haushalte besonders stark betroffen. Zur sozialen Absicherung des Wohnens übernehmen die Kommunen mit Beteiligung des Bundes die Kosten der Unterkunft (KdU) der Transferleistungsempfänger (SGB). Diese Maßnahmen der Subjektförderung, die jährlich annähernd 17 Milliarden Euro Kosten für die öffentliche Hand verursachen, sind in quantitativer Hinsicht das zentrale wohnungspolitische Instrument.  Den Betroffenen wird im Rahmen von „Angemessenheitsgrenzen“ eine gewisse Wahlfreiheit ermöglicht und somit versucht der Bildung einseitiger Bewohnerstrukturen – Ghettoisierungen und Segregationseffekten – entgegenzuwirken. Die relativ gute Versorgung der Bedarfsgemeinschaften erfordert jedoch hohe staatliche Subventionen, die keine steuernde Wirkung auf dem Wohnungsmarkt entfalten.

  • Forschungsdefizite bestehen im Hinblick auf die Steuerungseffekte der Instrumente und deren volkswirtschaftlicher Sinnfälligkeit; die jeweiligen sozialen, ökonomischen und ökologischen Effekte des förderpolitischen Instrumentariums sollten auch im Sinne einer Stadtrendite auf den Prüfstand gestellt werden

Welchen Beitrag kann neuer Wohnraum leisten – nachhaltige Standards?

Der Neubau von Wohnungen wird in der aktuellen öffentlichen Debatte als ein zentraler Lösungsansatz der Wohnungsfrage präsentiert – obwohl als empirisch nachgewiesen gilt, dass die damit angestrebten Sickereffekte nicht zu belegen sind. Neuer Wohnraum lässt sich in angespannten Märkten nicht preiswert herstellen und Bauflächen lassen sich nur schwer mobilisieren. Der Wohnflächenkonsum ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Die weitgehende Deregulierung und Globalisierung des Wohnungsmarktkapitals verstärkt das Ungleichgewicht zwischen den kapitalstarken privaten und versorgungsorientierten öffentlichen Akteuren. All dies sind aus wohnungspolitischer wie aus einer nachhaltigkeitsorientierten Perspektive problematische Entwicklungen. Möglichst schnell, möglichst viel und möglichst renditeorientiert zu bauen, ist keine Strategie für eine sozial und ökologisch ausgewogene Wohnungsversorgung.

  • Forschungsfragen: Der transdisziplinäre Forschungsbedarf besteht darin, die Vielzahl der sektoralen Handlungsstrategien einer integrierten Betrachtung zu unterziehen, um zukunftsorientierte Nachfragebedürfnisse, neue Baulandbedarfe und eine sozialgerechte, ökologische Bodennutzung mit nachhaltigem Bauen in Einklang zu bringen. Eine konkrete Frage richtet sich auf  Verfahren und Modelle, die einen bezahlbaren Wohnungsbau auf dem heutigen Stand der Technik ermöglichen. Die differenzierte Situation in einzelnen Städten und Gemeinden sowie der Umgang mit Wohnbauland als Steuerungsinstrument der Wohnraumversorgung im Kontext eines nachhaltigen Flächenmanagements stellt dabei ein weiteres besonderes Interesse der Forschung dar.

Welche Potenziale/Konflikte liegen im Bestand?

In der Debatte um die angespannten Wohnungsmärkte rückt die Bedeutung des Altbaubestandes für die Bereitstellung preiswerten Wohnraums zunehmend in den Fokus. Aufgrund des kontinuierlichen Auslaufens von Sozialbindung für den einst öffentlich subventionierten Wohnraum verlagert sich nun auch die subjektorientierte Wohnraumpolitik in den privaten Wohnungsmarkt. Einerseits gilt es, die Wohnungsbestände für eine soziale Wohnungsversorgung zu sichern. Andererseits besteht die Notwendigkeit, die Wohngebäude an heutige technische und energetische Standards sowie gewandelte Wohnbedürfnisse anzupassen. Zielkonflikte sind in einer klimapolitisch/energetisch ausgerichteten Förderpolitik auf der Ebene des Bundes und sozial orientierten Handlungsstrategien auf der lokalen Ebene zu finden.

  • Forschungsfragen: Aus der sozial-ökologischen Perspektive stellt sich die Frage, wie sich jenseits starrer Förderrichtlinien Leitplanken für eine nachhaltige Bestandsentwicklung im Austausch mit den privaten Wohnungsmarktakteuren definieren lassen, und inwieweit Aufwertungen durch energetische Sanierungen nicht zu Mehrkosten, sondern zu langfristigen Kosteneinsparungen und somit zur Sicherung des bezahlbaren Wohnraums führen. Mit der Privatisierung z.T. sanierungsbedürftiger Wohnbestände gewinnen Modelle zur sozial verträglichen und ökologisch effektiven Aufwertung an Relevanz. Gleichzeitig gilt es in stagnierenden suburbanen, ländlichen Regionen den Wohnungsbestand weiterhin als Potenzial zu begreifen – hier fehlt es an zukunftsorientierten Strategien, die den technologischen und gesellschaftlichen Wandel aufgreifen, um neue „Raumpioniere“ für diese Bestände zu werben.

Wer soll Wohnraum bereitstellen und gestalten?

Die eingespielte Arbeitsteilung zwischen Staat und Markt stößt bei der Wohnungsversorgung immer wieder an ihre Grenzen. Die politische Debatte scheint in der Sackgasse zu stecken –weder Anreize (Sozialer Wohnungsbau) noch Regulation (Mietpreisbremse) zeigen ausreichende Erfolge. Subventionen ohne entsprechenden (dauerhaften) Gegenwert geraten immer stärker in die Kritik. Die Wohnungsversorgung in einer erweiterten Perspektive als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen und neue Bündnisse für das Wohnen zu schmieden, scheint ein Erfolg versprechender Weg für die Zukunft zu sein. Als geeignete Bündnispartner auf dem Wohnungsmarkt gelten gemeinhin all diejenigen marktwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure, die den Fokus auf die Versorgung legen, langfristige Perspektive entwickeln und eine Bindung an den jeweiligen Ort haben (u.a. die Wohnungsgenossenschaften und Baugemeinschaften).

  • Forschungsfragen: Als offene Frage bleibt, wie viel Gemeinsinn- oder Gemeinwohlinteressen die Akteure – unabhängig von ihrer jeweiligen Gesellschafts- oder Trägerform –  vertreten, und wie sich gemeinwohlorientiertes Verhalten innerhalb einer diversifizierten Akteurslandschaft in der sozial-ökologischen Perspektive „messen“, unterstützen und fördern lässt. Ferner ist zu fragen, inwieweit der Flächenverbrauch mit dem wachsenden Wohnflächenkonsum pro Kopf jeweils im versorgungs- und gewinnorientierten Wohnungsbau zusammenhängt, und wie sich dieser hinsichtlich der Klima- und Nachhaltigkeitsziele durch Anreize jenseits restriktiver Maßnahmen „verhandeln“ lässt. Die Vielzahl der guten Praxisansätze vor Ort bedarf einer systematischen und vergleichenden Untersuchung und eines kontinuierlichen Wissenstransfers.

3. Beschreibung möglicher Forschungsfragen

Die oben genannten Forschungsfragen lassen sich um vier weitere Forschungsaspekte zum Wohnen in der Stadt ergänzen. Sie fokussieren interdisziplinäre und transdisziplinäre Forschungsansätze, die die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Erfordernisse gleichermaßen berücksichtigen. Es zeigt sich, dass neben der bislang im Vordergrund stehenden finanziellen und gesetzlichen Ausrichtung der wohnungspolitischen Instrumente die kooperativen Ansätze im Sinne einer breiter angelegten Governance-Perspektive zunehmend an Bedeutung gewinnen.

1. Gemeinwohlorientierte und kooperativ organisierte Leistungen der Wohnungsversorgung
Im Interesse stehen neue institutionelle Arrangements und Bündnisse, die es erlauben, in der Arbeitsteilung zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft eine Wohnungsversorgung zwischen Gemeinsinn oder Gemeinwohl herzustellen. Fokus liegt dabei auf dem sozial-ökologischen „Mehrwert“, der in diesen neuen Konstellationen erzeugt wird. Dabei stellen sich Fragen zu Formen der Zusammenarbeit und Umsetzbarkeit aber auch zur Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit der „Produkte“ im Wohnungssektor.

2. Regulative Vorgaben als notwendige Leitplanken – förderndes und restriktives Handeln des „Governments“
Im Zuge der Diversifizierung des Wohnungsmarkts, seiner Akteure, deren Ziele und Praktiken behalten „klassische“ Planungs- und Verfahrensregularien ihre wichtige Bedeutung. Seitens der öffentlichen Hand lassen sich Ziele wie sozialgerechte Bodennutzung und die sozial-ökologischen Maßgaben nicht ohne einen Mix an Vorgaben und Ergebnisoffenheit in Planungsverfahren erreichen. In den Fokus rücken dabei neue Prinzipien wie die transparente Festlegung von (vereinheitlichten) Standards für Konzeptvergaben mit Bezug auf effiziente und gerechte Bodennutzung, aber auch im Sinne von Offenheit für breite Nutzergruppen.

3. Gemeinwohlorientierte Leistungen – materielle und ideelle Mehrwerte messbar und transparent machen
Zur Deckung diverser Wohnbedarfe müssen gemeinwohlorientierte Leistungen neu definiert und über die Wohnraumversorgung hinaus erweitert werden. Sozial-ökologischer Mehrwert, positive gesellschaftliche Effekte, Placemaking und Integration, Gesundheit und Ökologie sollen durch entsprechende Anreize in die Konzepte des Wohnens ihren Eingang finden. Der Forschungsbedarf liegt in der Evaluierung der öffentlichen und privaten Leistungen und der Weiterentwicklung handhabbarer Prinzipien. Ein Forschungsziel soll dabei auch die Verstetigung von Nischenprojekten und ihrer Chancen auf Verbreitung und Anschlussfähigkeit sein.

4. Sozial-ökologische Gerechtigkeit in der Wohnungsversorgung unterstützen
Eigentümer oder Nutzer günstigen Wohnraums können die Investitionen, die zu einer gesunden, ökologischen und bezahlbaren Wohnsituation führen, nicht immer aufwenden. Technische Erneuerungen bedürfen zudem langer Amortisierungszeiten. Trotz unterschiedlicher Förderkulissen sind die Effekte im Wohnungsbestand weiterhin gering – auch weil die Kostenneutralität nur schwer zu erreichen ist. Hier sind interdisziplinäre Forschungsansätze gefragt, die auf die komplexen Problemlagen in vielfältigen Beständen differenziert eingehen.

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