Ergänzend zur Frage der Steuerbarkeit, wäre es spannend zu untersuchen wo genau der Handlungsspielraum der Politik durch eine höhere "Wachstumsunabhängigkeit" erhöht wird. Dazu wäre inbesondere die Frage spannend welche Politikmaßnahmen sich identifizieren lassen, die zwar potentiell das Wachstum der Volkswirtschaft schwächen, aber gleichzeitig positive soziale und ökologische Wirkungen mit sich bringen.

Autoren: Thomas Korbun, Bernd Hansjürgens, Kai Niebert    nach oben1. Sozial-ökologische ProblemlagenDamit die international vereinbarten Klima- und Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können, müssen insbesondere industrialisierte Länder wie Deutschland, ökologische Belastungen, die aus ihren nicht-nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweisen resultieren, in einem erheblichen Ausmaß reduzieren. Dies konnte bisher jedoch weder durch Effizienzsteigerungen noch durch Konsistenzstrategien auch nur ansatzweise realisiert werden. Es bestehen berechtigte Zweifel bezüglich der unter anderem im Green-Growth-Ansatz unterstellten Gewissheit, dass es aufgrund der technologischen Entwicklung gelingen wird, eine hinreichend starke absolute Entkopplung von Wirtschaftsleistung und ökologischen Belastungen im zur Verfügung stehenden Zeitraum zu realisieren. In verschiedenen Transformations­diskursen wird zudem die Frage gestellt, ob weiteres Wirtschaftswachstum in den wohlhabenden Ländern zwingend notwendig ist, um die Lebensqualität dort zu erhalten. Aus der Perspektive einer starken Nachhaltigkeit werden eine Messung gesellschaftlicher Wohlfahrt, die sich primär am BIP orientiert, und darauf aufbauende wachstumsorientierte Politiken kritisiert.Die im BIP gemessene Wirtschaftsleistung und die damit generierten Einkommen spielen eine wich­tige Rolle für die Funktions­weise fundamentaler gesellschaftlicher Institutionen (beispielsweise die Sozial­versicherungssysteme). Es wird deshalb teilweise befürchtet, das Ausbleiben von Wirt­schafts­wachstum werde zu einer Zunahme bestehender sozialer Ungerechtigkeiten, zu geringerem gesell­schaftlichen Zusammenhalt und zu einer Erosion der gesellschaftlichen Akzeptanz nachhaltig­keits­politischer Maßnahmen führen und ihre Fortführung praktisch unmöglich machen. Zugleich besteht aber eine ernst zu nehmende Möglichkeit, dass sich das künftige Wachstum aufgrund verschiedener Ursachen (wie den demografischen Wandel) abschwächt oder ganz ausbleibt (vgl. Diskussion zum Thema säkulare Stagnation).Diese verschiedenen Argumente unterstreichen die Notwendigkeit, Alternativen zu einem auf Wachstum basierenden gesellschaftlichen Entwicklungspfad zu prüfen. Potenziale hierfür könnten in einer verantwortungsethisch motivierten Resilienzstrategie liegen. Diese würde den Transformations­pfad, der auf die Einhaltung der planetaren Grenzen und die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Lebensqualität abzielt, robuster gegenüber Unwägbarkeiten machen. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Resilienzstrategie könnte in einer Postwachstumsposition liegen. Im Gegensatz zu Ansätzen wie Degrowth oder Green Growth ist die Postwachstumsposition insofern pfadunabhängiger und ergebnisoffen als dass unter der Prämisse der Einhaltung ökologischer Grenzen Wirtschafts­wachs­tum, bzw. Schrumpfung nicht als per se negativ bzw. positiv betrachtet werden und auch eine hinrei­chend starke Entkopplung von Wirtschaftsleistung und Umweltbelastung nicht ausgeschlossen wird. Gemäß dieser Position ist es ungewiss, wie sich die gemessene Wirt­schaftsleistung entwickeln wird, wenn die Wirtschaftsweise in den industrialisierten Ländern im Einklang mit globalen ökologi­schen und sozialen Zielen grundlegend transformiert wird. Postwachs­tums­­befür­wor­ter/innen plädieren insbesondere dafür, gesellschaftliche Institutionen so zu transfor­mieren, dass sie ihre Leistungen unabhängig(er) von der gemessenen Wirtschaftsleistung erbringen können (Wachstums­unabhäng­igkeit). Würde dies gelingen, könnte die Politik ökologisch notwendige Politikmaßnahmen unabhäng­iger von ihren eventuellen negativen Auswirkungen auf das Wirtschafts­wachstum ergreifen.Eine Postwachstumsstrategie kann als Innovationsstrategie konzipiert werden, die auf soziale Inno­vationen und neue soziale Praktiken fokussiert. Neue Formen des Wirtschaftens sind dabei kooperativ und netzwerkorientiert und unterstützen die Ablösung von Produzenten und Konsumenten von einer „Wachstumskultur“ und ihrer Steigerungs­logik. nach oben2. Darstellung des Wissensstandes und ForschungslückenDer Postwachstumsdiskurs wird insbesondere in Teilen der Zivilgesellschaft und erst in Ansätzen in wissenschaftlichen Arenen geführt.Daher verfügen die entsprechenden Protago­nist/innen bisher über verhältnismäßig geringe wissenschaftliche Bearbeitungskapazitäten. Es besteht ein großer Bedarf an grundlegenden und explorativen inter- und transdisziplinären wissenschaftlichen Analysen und empi­ri­schen Untersuchungen. So fehlen beispielsweise differenzierte Analysen zur Rolle und gesamt­wirt­schaftlichen Relevanz verschiedener wachstumsförderlicher Dynamiken sowie den Möglichkeiten diese durch politische Maßnahmen zu gestalten. Ebenso gibt es bezüglich der konkreten Ausge­stal­tungsmöglichkeiten von Postwachstumsstrategien erhebliche Wissensbedarfe. Dies betrifft insbeson­dere grundlegende empirische Untersuchungen zur potenziellen Relevanz, Umsetzbarkeit und den Wirkungen verschiedener bisher vorgeschlagener Politikinstrumente. Des Weiteren bestehen Wissenslücken bezüglich des Verhältnisses von nationalstaatlich orientierten Politikansätzen sowie regionaler Ansätze des Wirtschaftens zu inter­natio­nalen Entwicklungen und den entsprechenden Wechselbeziehungen.Neben den skizzierten Forschungslücken bestehen Zielkonflikte, die in einem breiten gesell­schaft­lichen Diskurs debattiert werden sollten und letztlich auf der politischen Ebene entschieden werden müssen. Hierzu gehört beispielsweise die Frage, was ein (noch) gesellschaftlich akzeptables monetäres Absicherungsniveau in einer nicht mehr wachsenden oder gar schrumpfenden Volkswirt­schaft unter veränderten Bedingungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisation ist. Sinnvolle Beiträge für einen entsprechenden Suchprozess könnten auf wissenschaftlicher Expertise aufbauende, entsprechend gestaltete partizipative Formate und begleitende transdisziplinäre Forschungs­projekte sein. nach oben3. Beschreibung möglicher ForschungsfragenZur Konzeption und Bewertung einer möglichen Postwachstumsgesellschaft:Wie könnte eine Postwachstumsgesellschaft konzeptionell gefasst werden? In welcher Weise unterstützt sie die Umsetzung globaler ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitsziele? Wie trägt sie zu einer resilienteren Gesellschaft bei? In welchem Verhältnis steht der Postwachstumsdiskurs zu anderen Konzeptionen nachhaltiger Entwicklungen (wie Suffizienz oder Vorsorgeprinzip) und Transformationspfaden?Welche spezifische Indikatorik wäre für den Übergang zu entwickeln? Welche Risiken und Kosten und welche Wohlfahrtseffekte entstehen bei verschiedenen Transformationspfaden? Wie würde sich eine nicht mehr wachsende oder schrumpfende Volkswirtschaft auf sozialen und ökonomischen Dynamiken, das Investitions- und Innovationsgeschehen auswirken? Welche Auswirkungen haben Postwachstumskonzepte in unterschiedlichen regionalen Kontexten? Welche Potenziale bestehen für die Entwicklung strukturschwacher Regionen? Zur Frage der Steuerbarkeit von Wachstumsdynamiken: