Sozial-ökologische Pfade zu einer wachstumsunabhängigen Gesellschaft

Gedanken aus der Stadtplanung

Es scheint so, dass die Begrenzung von Wachstum auch sehr viel mit der Beschneidung der Freiheit der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft zu tun hat. Es stellt sich die Frage, in wieweit die Politik in der Lage ist, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Ist es die richtige Antwort auf immer größer werdende SUV, Parkstreifen, Stellplätze und vielleicht irgendwann auch Fahrbahnen breiter zu machen? Oder wäre es besser, die Freiheit des Einzelnen zu begrenzen z.B. die maximale Breite eines Pkw gesetzlich zu deckeln oder andere Steuerungsinstrumente einzusetzen? Es wird noch immer in die Richtung „größer ist besser“ gedacht (Gigaliner). Fläche und Boden sind Schlüsselressourcen, die für viele andere Ressourcen und Funktionen die Grundlage bilden. 30 cm Fahrbahnbreite können entscheidend dafür sein, ob ein Radfahrstreifen funktioniert oder besser nicht gebaut wird.

Diese Ressource allein oder überwiegend dem Markt zu überlassen, funktioniert offensichtlich nicht. Wohnungsknappheit und Flächenknappheit lassen die Preise für Bauland in Verdichtungsräumen explodieren. Dennoch finden sich (noch) Käufer, die wohlhabend genug sind. Wachstum fast jedweder Art ist flächenhungrig. Das lässt sich am Flächenverbrauch ablesen. In Baden-Württemberg wurden 2015 täglich 5,2 ha Freifläche „verbraucht“ (Wohnen, Gewerbe, Industrie, Straßen). Zwar waren es vor Jahren auch schon einmal doppelt so viel. Angesichts der Tatsache, dass die Ressource Boden endlich ist und die Nutzung von Freiraum viel zur Lebensqualität beiträgt, ist man hier vom Ziel noch weit entfernt. Die Ressource Fläche bzw. Boden wird da, wo sie knapp ist, vor allem unter finanziellen und unter Eigentumsaspekten betrachtet.

Es sieht so aus, als ob die aktuellen Entwicklungen weg vom Auto zu anderen Mobilitätsformen zunächst noch mehr Fläche beanspruchen (Busspuren, Radfahrstreifen, Fahrradabstellplätze, Carsharingstellplätze, Elektroladesäulenstellplätze usw.) Dies geht zumindest bis jetzt nur zum Teil zulasten der Flächen für den MIV, in Stuttgart ist die Abkehr vom PKW ein weiter Weg. Das bedeutet, dass zwar die Luft besser wird, der Verkehr flüssiger läuft, aber dafür mehr Fläche beansprucht wird. Es scheint notwendig, auch über das Ausmaß der Mobilität nachzudenken, und das nicht nur unter Geldaspekten. Mobilität ist ein Grundbedürfnis, das nicht ohne weiteres beschnitten werden kann.

Diese Fragestellung lässt sich auf den Verbrauch von Gütern übertragen. Der Status der meisten Mitglieder unserer Gesellschaft bemisst sich zu einem großen Teil an der Potenz zu konsumieren, Güter oder Dienstleistungen. Will man eine Wachstumskultur verändern, müssen sich die Werte verändern. Was ist angesehener und erstrebenswerter: Ein großes Haus aus teuren Materialien zu bewohnen oder ein Haus, das auf begrenzter Fläche gut funktioniert und mit nachhaltigen, recyclingfähigen Baustoffen hergestellt und energieneutral betrieben werden kann? Wenn es nicht „angesagt“ ist, wegen vergleichsweise kurzfristiger persönlicher Vorteile die langfristige Lebensqualität aller zu verschlechtern oder sogar die Lebensgrundlagen zu zerstören, muss auch nicht jedes individuelle Verhalten reguliert werden. Auch das eine Aufgabe der Politik, da nicht jeder als Mutter Theresa geboren wird. Eine kinderlose Gesellschaft wird da rücksichtsloser agieren. Vielleicht kann man auch von anderen, weniger konsumorientierten, nachhaltiger wirtschaftenden Gesellschaften lernen. Welche Werte und Statusmerkmale herrschen vor, wie wirkt sich das auf Ressourcenverbrauch und nachhaltiges Handeln aus? Und vor allem: wie groß ist dabei die Lebenszufriedenheit?

Ein Umdenken müsste auch auf anderer Ebene stattfinden. Eine Veränderung der Wachstumskultur beträfe auch das Verhältnis der Staaten untereinander. Bedeutet ein Verzicht auf Wirtschaftswachstum auch den Verzicht auf Macht?