Einleitungstext

Geld, Finanzwirtschaft und Nachhaltigkeit

 

Autoren: Reinhard Loske, Camilla Bausch

1. Sozial-ökologische Problemlagen

„Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch letztlich alles“: Dieser nur leicht modifizierte Aphorismus von Johann Wolfgang von Goethe lässt sich bezüglich der Nachhaltigkeitsdebatte auf verschiedenerlei Weise interpretieren: grundsätzlich-fundamental und pragmatisch-reformorientiert. Grundsätzlich etwa wird aus eher wachstums- oder gesellschaftskritischer Perspektive moniert, dass die allgemeine Dominanz ökonomischer Interessen im Kapitalismus das Verfolgen ökologischer und sozialer Ziele erschwere oder gar unmöglich mache. Genannt werden vor allem systemische Zwänge wie der Akkumulationszwang, der Wachstumszwang oder der Gewinnerwirtschaftungszwang, als deren Folgen Ressourcenübernutzung, Umweltzerstörung und zunehmende soziale Ungleichheit zu gelten hätten.

Demgegenüber wird aus pragmatisch-reformistischer Perspektive argumentiert, zwar sei das marktwirtschaftliche System aus sich heraus nicht in der Lage, hinreichende Fortschritte in Umweltschutz, Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit hervorzubringen. Wenn allerdings die marktwirtschaftliche  Dynamik durch „ökologisch wahre Preise“ (Ökosteuern, Zertifikate, Umwelthaftpflicht), den Abbau umweltschädlicher Subventionen, intelligente Regulierung, passgenaue Investitions- und Innovationsförderung sowie soziale Teilhabe auf die richtigen Ziele gelenkt werde, seien „grüne Technologien“, „grüne Märkte“, „grünes Wachstum“, „ökologische Modernisierung“ und letztlich sozial-ökologische Nachhaltigkeit die erwünschten Folgen.

Gleich welche Grundperspektive man als Wissenschaftler/in einnimmt, so ist doch evident, dass die Geld- und Finanzordnung einen zentralen Einfluss auf die Entwicklungsrichtung der Realwirtschaft und damit die Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft als Ganzes hat. Mit hoher Plausibilität kann festgestellt werden, dass die Geld- und Finanzordnung in ihrer heutigen Form und Grundausrichtung kein Treiber von Nachhaltigkeit ist und hier erheblicher Änderungs- und Neuausrichtungsbedarf besteht. Diesen gilt es zu erforschen, zu beschreiben und den Akteuren in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als urteilsbildende Grundlagen und Optionen anzubieten.

2. Darstellung des Wissensstandes und Forschungslücken

Die Forschungslandschaft zu Fragen von Geld, Finanzwirtschaft und Nachhaltigkeit ist in Deutschland und Europa stark zersplittert und die Anzahl der Akteure (Forschungsinstitute, Hochschulen) gleichwohl sehr überschaubar. Es gibt verschiedene „Fach-Communities“, die sich mit spezifischen Einzelfragen beschäftigen, etwa zum ethischen Investment, zu Divestment-Strategien, zur Klimaschutzfinanzierung, zur Rolle von Multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs), zu Social Banking, Green Banking oder Banking on Values. Auch gibt es vereinzelt Forschergruppen, die systemische Fragen wie eine Geldschöpfungsreform (z.B. über „Vollgeld“) oder zur Rolle von Regional- und Komplementärwährungen vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeitsfragen bearbeiten. Eine eigene und schon länger etablierte Community bilden wiederum Forschungsgruppen, die sich mit fiskalischen Anreizen wie Ökosteuern, Zertifikaten oder Umwelthaftpflichtregeln befassen. Aber von einer klar profilierten „Green Finance Science“ zu sprechen, entspräche (noch) nicht der Realität.

Das heißt aber nicht, dass es in den Einzelfragen in den zurückliegenden Jahren keine inhaltlichen Fortschritte gegeben hätte: Vor allem im Bereich der „Green Finance“ bzw. der Klimaschutzfinanzierung haben EU, G20, OECD, UNEP und einzelne MDBs verschiedene Richtlinien präsentiert, die – wie im Pariser Klimaabkommen eingefordert - ein Umlenken von Finanzströmen weg von klimaschädlichen hin zu klimaverträglichen Technologien vorsehen. Zu nennen wären hier etwa die von der EU-Kommission eingesetzte „High Level Group on Sustainable Finance“ oder die „G20 Eminent Persons Group on Global Financial Governance“, die freilich in den sehr engen Grenzen der finanzwirtschaftlichen Logik bleiben und fundamentalere systemische Alternativen nicht beleuchten. Zunehmende Forschungsaktivitäten sind auch im Bereich des „Green Banking“ zu beobachten, wo sich eine immer deutlicher definierte Scheidelinie zwischen halbherzigem „Greenwashing“ und tatsächlicher Nachhaltigkeitsausrichtung von Banken erkennen lässt.

Insgesamt gilt es aber für den Bereich Green Finance/Green Banking/Ethisches Investment/Divestment ein klares Defizit an unabhängiger Forschung zu konstatieren. Häufig sind die „Produzenten“ von „wissenschaftlichen“ Ergebnissen hier private und keineswegs interessenfreie Akteure, etwa Banken selbst, Rating-Agenturen, ökonomiezentrierte staatliche Stellen oder internationale Organisationen. Zwar gibt es kompetente Nichtregierungs-Organisationen, die die Finanzmarktentwicklung ihrerseits sehr aufmerksam, kritisch und kompetent verfolgen und eigene Reformvorschläge unterbreiten (z.B. Finance Watch), aber ihre Möglichkeiten und Ressourcen sind beschränkt und nicht immer divers ausgerichtet. Gleichwohl liegt  es nahe, diese Akteure aufgrund ihres spezifischen Wissens in transdisziplinäre und transformative Forschungsansätze einzubinden.

Ein noch größeres Forschungsdefizit findet sich bei den eher grundsätzlichen systemischen und wertebezogenen Fragen des Geld- und Finanzsystems. Einige Beispiele: Erzeugt „Geldschöpfung aus dem Nichts“ Wachstums- und Akkumulationszwänge, die zu Lasten einer nachhaltigen Entwicklung gehen? Wie kann sichergestellt werden, dass Kurzfristorientierung und disruptive Entwicklungen im Finanzsystem nicht zu einem Hindernis für realwirtschaftliche Nachhaltigkeitsstrategien werden? Welche fiskalischen/steuerlichen/rechtlichen Anreizsysteme müssen geschaffen werden, um in der Nachhaltigkeitspolitik von der bloßen Symptombekämpfung zur systemischen Veränderung zu gelangen, etwa in den Bereichen Energie, Klima, Landwirtschaft, Immobilien? Und insbesondere gibt es keine belastbaren Forschungsergebnisse darüber, welche politischen Entscheidungen und gesetzliche Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene dazu beigetragen haben, dass sich die Finanzmärkte mehr und mehr von der Realwirtschaft abgekoppelt haben.

3. Beschreibung möglicher Forschungsfragen

Mögliche Forschungsfragen ergeben sich aus den unter (2) beschriebenen Forschungsdefiziten. Eine mögliche Forschungsförderung sollte grob in drei Felder unterteilt werden: (a) Umlenkung von Finanz- und Investitionsströmen aus nicht-nachhaltigen in nachhaltige Sektoren/Aktivitäten und Schaffung entsprechender Anreizstrukturen; (b) Abbau systemischer Zwänge, die sich aus dem Geld- und Finanzsystem für eine nachhaltige Entwicklung ergeben, und Aufbau einer sozial-ökologisch ausgerichteten Geld- und Finanzwirtschaft; (c) Analysen zum generellen Zusammenhang von Finanzwirtschaft und realwirtschaftlichen Entwicklungen (Produktion, Konsum, Preise, Einkommensverteilung etc.) aus der Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung.

Denkbare Fragestellungen zu (a) wären zum Beispiel:

  • Welche ordnungspolitischen Regeln, wirtschaftlichen Anreize und ökonomischen Rahmenbedingungen braucht ein Finanzsystem, damit es zu einer relevanten Umlenkung von Geld- und Investitionsströmen aus nicht-nachhaltigen in nachhaltige Bereiche kommt, v.a. in den nachhaltigkeitsrelevanten Bereichen Energie, Verkehr, Landwirtschaft und Immobilien?
  • Würde die stärkere Besteuerung von Kohlenstoff, landwirtschaftlichen Inputs wie Pestiziden und Kunstdünger sowie von leistungslosen Wertzuwächsen von Immobilien eine starke Veränderungsdynamik auch im Bankensektor auslösen?
  • Sind zusätzliche internationale Vereinbarungen erforderlich, um das Divestment als Instrument des Klimaschutzes zu fördern?
  • Welche Transparenzmechanismen und Gütesiegel sind geeignet, Anlegern und Investoren die Wahl von sozial-ökologischen Anlagenoptionen und –produkten zu erleichtern bzw. Risiken und sozial-ökologische Implikationen in nicht nachhaltigen Produkten zu erkennen?
  • Welche Möglichkeiten und Risiken ergeben sich aus der Digitalisierung (etwa über Blockchain oder Crowd-Funding) mit Blick auf Finanzflüsse jenseits der Banken und hin zu Social Credits/nachhaltigen Anlageoptionen?

Denkbare Fragestellungen zu (b) wären zum Beispiel:

  • Welche Herausforderungen und praktischen Konsequenzen ergeben sich aus einer nachhaltigen Entwicklung für die Kreditvergabe von Banken, v.a. für Stakeholder-Banken wie Sparkassen und Volksbanken?
  • Welche Kriterien außer der finanziellen Bonität von Kreditnehmern sollen bei der Kreditvergabe Berücksichtigung finden?
  • Welche Rahmenbedingungen sind besonders aussichtsreich und hilfreich, um Bürgerkapital und wirtschaftliches Engagement von Bürgern für eine sozial-ökologische Transformation zu aktivieren, wie es etwa im Rahmen des Stromsektors punktuell gelungen ist?
  • Bedarf es lediglich einer veränderten Bankenpraxis, um der Berücksichtigung sozial-ökologischer Aspekte bei der Kreditvergabe zum Durchbruch zu verhelfen, oder sind hierzu auch ordnungspolitische, gesetzliche Änderungen erforderlich?
  • Sind Veränderungen an der Methode des Inverkehrbringens von Geld („Geldschöpfung“) erforderlich, um Nachhaltigkeitsziele besser erreichen zu können?
  • Sind Regional- und Komplementärwährungen ein geeignetes Instrument, um nachhaltigkeitsorientierte Strategien der realwirtschaftlichen Re-Regionalisierung und De-Globalisierung zu befördern?

Im Zentrum von Fragestellungen zu den Bereichen (a) und (b) sollten möglichst konkrete transformative Aspekte stehen, die in Kooperation mit Praxispartnern aus den Sektoren Banken (v.a. Stakeholderbanken und Ethikbanken), Unternehmen der Realwirtschaft (v.a. KMU und Genossenschaften), Zivilgesellschaft (z.B. Energie-, Agrar- und Bodengenossenschaften oder NGOs) oder Kommunen und öffentlichen Infrastrukturunternehmen durchgeführt werden können. Grundsätzlich vorstellbar wären auch Kooperationen mit Praxispartnern aus der Banken- und Finanzmarktregulierung (z.B. Bafin) oder der internationalen Entwicklungs- oder Infrastrukturfinanzierung.(z.B. EU, KfW).

Denkbare Fragestellungen zu (c) wären zum Beispiel:

Welchen Einfluss hat die fortschreitende Abkoppelung des Finanzmarktes von der Realwirtschaft auf Investitionsentscheidungen von Unternehmen, auf reale (nicht nominelle) Wertschöpfungsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft und auf die Verteilung von Vermögen und ihrer (generationenübergreifenden) Wirkungsgeschichte.

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